Deutschland lähmt sich selbst: Leistungsschutzrecht.

Leistungsschutzrecht: Deutschland lähmt Social Media Möglichkeiten

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco warnt: Das geplante Leistungsschutzrecht, das heute im Rechtsausschuss des Bundestages beraten wird, schädigt die hiesige Internetwirtschaft. Damit trifft es einen gerade in Krisenzeiten relevanten Wachstumsmotor: Auf viele Unternehmen kommen wirtschaftliche Schäden in unbekannter Höhe zu. Grund ist der unklar formulierte Gesetzestext, der weder die geschützte Leistung noch die Höhe der Zahlung noch den Kreis der Zahlungsverpflichteten eindeutig beschreibt.

Feind für Social Media Möglichkeiten

Hausgemachtes Problem: Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger gefährdet die Rechtssicherheit der deutschen Internetbranche. Da der Gesetzestext keine klare Definition bietet, wer alles zahlungspflichtig ist, kann nahezu jedes inhaltliche Angebot betroffen sein: von Portalen, die Suchmaschinentechnik von Drittanbietern oder fremde Texte automatisch über RSS-Feeds einbinden, bis hin zu Netzwerkangeboten wie Xing, in denen Nutzer ohne Kontrolle durch den Betreiber eigene Inhalte einstellen können. Dies nimmt die Bundesregierung bei dem Gesetzentwurf in Kauf: In der Antwort auf eine kleine Anfrage gestand sie ein, dass sie selbst davon ausgeht, dass der genaue Kreis der Betroffenen erst vor Gericht geklärt werden wird.

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Trifft auch Social Media: Das geplante LSR


Gerichtsverfahren statt Zeit für Revolutionen

Vor diesem Hintergrund befürchtet eco, dass viele deutsche Internetunternehmen ihre Services einstellen oder einschränken müssen. Zum einen werden viele Angebote unrentabel, etwa wenn Portalbetreiber nun zusätzlich zu den Lizenzen für Suchmaschinentechnik auch noch Lizenzen für die Suchergebnisse in bisher unbekannter Höhe zahlen sollen. Zum anderen drohen jahrelange Gerichtsverfahren, um zu klären, wer überhaupt zahlungspflichtig ist. Oliver Süme, eco-Vorstand für Politik, Recht & Regulierung befürchtet daher langwierige, lähmende Prozesse um hohe Streitwerte: „Rechtssicherheit erhält man als Anbieter nur noch dadurch, dass man jede Form von Suchfunktion oder Interaktivität abschaltet. Dann haben wir ein Internet auf dem technischen Stand von 1996.“

ADIZ.org beantwortet Fragen und nimmt Unsicherheiten

Die Anbietervereinigung ADIZ.org spricht sich gegen ein #LSR aus, da dieses massive rechtliche Unsicherheiten schaffen sowie Wachstum und Neugründungen innerhalb der Internet- und Medienbranche verhindern würde. Besonders groß ist die Verunsicherung bei Gründern und Startups, weswegen die Vereinigung einen Fragenkatalog für diese Gruppe entwickelt hat. Wir greifen diese Fragen auf und bilden sie für Euch ab:

Frage: Welche Startups und Gründer sind betroffen?

Jeder Gründer ist betroffen, der Textauszüge sogenannte „Snippets“ die einmal auf einem Nachrichtenangebot waren, in seiner Software, App oder im Netz zugänglich macht. Das trifft vor allem Nachrichten-Aggregatoren, kann aber auch Blogger oder sogar Nutzer von sozialen Netzwerken treffen, die gewerblich handeln und lediglich auf einen spannenden Artikel verweisen. Hierdurch entsteht unnötige Rechtsunsicherheit, wie sie vom Gesetzgeber so nicht gewollt sein kann.

In anderen Ländern wie Belgien führte ein vergleichbares Vorgehen der Verlage gegen Google dazu, dass der Suchkonzern kurzfristig alle Nachrichtenanbieter aus ihrem Index entfernte. Die Folge war, dass viele der Anbieter freiwillig Verzichtserklärungen unterzeichneten, um wieder aufgenommen zu werden. Letztlich musste man sich in Belgien wieder mit Google arrangieren. Auch in Bereichen wie bei der Störerhaftung hinkt Deutschland schon jetzt hinterher. Hier führten ähnliche Rechtsunsicherheiten dazu, dass die Pläne für ein kostenloses Hauptstadt-WLAN bis heute blockiert sind und neuere Projekte ihren Netzverkehr jetzt sogar über Slowenien umleiten müssen, um nicht von der deutschen Justiz belangt werden zu können.

Frage: Was müsste ich bezahlen und an wen?

Der „Anspruchsinhaber“ des Leistungsschutzrechts sollen die Presseverlage sein. Geschützt wären nicht nur die fraglichen Textauszüge, sondern unter Umständen auch schon verbundene „drum-herum Leistungen“ wie der Betrieb der Verlagswebseite auf der ein solcher Text erscheint. Die großen Medienhäuser verwalten und verfolgen die von ihren Autoren erworbenen Nutzungsrechte dabei in der Regel in separaten Geschäftsstellen, die teils sogar in eigenen GmbHs organisiert sind (z.B. die DIZ GmbH bei der Süddeutschen Zeitung oder die sogenannte „Infopool“ Abteilung bei Axel Springer). Da im Gesetzentwurf keine zentrale Verwertungsgesellschaft vorgesehen ist, könnten Betroffene also theoretisch von Verlagen und anderen Betreibern direkt einzeln in Anspruch genommen werden. Besonders prekär: Es ist sogar möglich mehrfach von unterschiedlichen Verlagen für den gleichen Text-Auszug belangt zu werden.
Auch preislich schafft der Gesetzesentwurf keinerlei Orientierung. In ähnlichen Verhandlungen, die vonADIZ.org Mitgliedern bereits geführt wurden, sprechen die Verlage teils von 1-10 Euro pro Artikel, teils von „pauschalen Crawling-Lizenzen“ in Höhen ab 10.000 Euro pro verlinkter Domain. Der sich hier entwickelnde Gebühren-Zoo und die teils extrem unrealistischen Verhandlungspositionen werden über Jahre zu einem massiven Verlust der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Startups führen, während gleichzeitig amerikanische Angebote auch deutsche Texte, von der deutschen Justiz unberührbar, einfach weiter nutzen und Marktanteile gewinnen werden.

Frage: Wie kann ich mich schützen?

Ein absoluter Schutz vor dem Leistungsschutzrecht ist nur möglich, wenn man als Gewerbetreibender Inhalte etwaiger Nachrichtenanbieter generell nicht mehr entsprechend öffentlich zugänglich macht. Da selbst kleinste Textauszüge, wie z.B. der Titel und evtl. sogar einzelne Wörter, durch das Leistungsschutzrecht betroffen sein können, würde zahlreiche Publikation ein Risiko bzw. Kosten mit sich bringen. Als Alternative besteht natürlich die Zusammenarbeit mit den Verlagen, die u.U. sehr kostenintensiv sein kann, oder der komplette Ausstieg aus dem Bereich bzw. die Verlegung des Angebots in ein Land, das nicht vom Leistungsschutzrecht betroffen ist. Für IT-Startups und Gründer sind dies auf jeden Fall keine guten Aussichten.

Frage: Wie könnte ein LSR kontrolliert werden?

Auch die Frage nach den Kontrollmöglichkeiten ist nicht befriedigend beantwortet. Der Gesetzentwurf sieht z.B. vor, auch die tatsächlichen Texturheber an den zusätzlichen Einnahmen zu beteiligen. Wie hoch der Anteil ausfällt oder wie genau er verrechnet werden soll, bleibt offen. Es ist aber zu erwarten, dass die „Anspruchsinhaber“ des LSR jeder ein eigenes Monitoring einführen werden, um anschließend automatisiert Rechtsverstöße zu finden und tausendfach abzumahnen.

Ein großes Problem ist weiter, dass ein LSR pauschal über jedes Medienangebot und jeden Aggregator gleichermaßen gestülpt werden soll. Doch nicht jedes Startup-Angebot oder jede App funktioniert wie Google. Trotzdem beinhaltet der Gesetzentwurf keine Differenzierung der eine Art oder Schwere des Verstoß regeln oder überhaupt erst eine Grenze definieren würde. Z.B. ist nach wie vor völlig unklar, ab welcher Textlänge überhaupt ein Verstoß geltend gemacht werden kann. Es ist zu befürchten, dass jede Kontrolle zu einer undifferenzierten Abmahnung führen wird.

Fazit: Deustchland bleibt Social Media Entwicklungsland durch LSR

Das geplante Leistungsschutzrecht hat massive Auswirkungen innerhalb der Aktivitäten auf Social Media und wurde deshalb auch von Netzschnipsel aufgegriffen. Letztlich sind für uns als „einfache“ Blogbetreiber Gefahren erkennbar, wenngleich wir uns natürlich einer grundsätzlichen Reform des UrhG nicht verschließen wollen. Aber: Das selbstgemachte Social Media Entwicklungsland macht sich mit diesem Vorhaben zum Gespöt der internationalen Web-Welt und macht seinem Ruf alle Ehre, sich weiter in der Steinzeitkommunikation zu suhlen. Von den revolutionärenMöglichkeiten auch im Social Media Kontext scheinen einige Damen und Herren in Berlin noch nicht viel gehört zu haben.

Zur Bildung einer eigenen Meinung:

Pro Leistungsschutzrecht: Verband Deutscher Zeitschriftenverleger

Contra Leistungsschutzrecht: Igel Initiative (Beispiel)

 

Matthias-M. Pook

Social Media Manager (FH). Mehr über Matthias und den Blog Netzschnipsel findest Du unter den Menüpunkten "Autor" sowie "Über".

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