Das Social Web als Politikinstrument – Kony 2012
Kony 2012: Funktioniert Politik im Social Web so einfach?
Wer vor einigen Wochen nach einem langen Arbeitstag schnell seine Facebook-Mails am Notebook checken oder eben kurz Musik auf YouTube hören wollte, bekam einen leichten Schock. Plötzlich postete eine Armee von Usern ein Video, in dem dazu aufgerufen wurde, den ugandischen Kriegsverbrecher Joseph Kony zu fassen. War er vielleicht plötzlich aus dem Gefängnis ausgebrochen? Hat er gerade wieder Verbrechen begangen? Wer sich das YouTube-Video anschaute, wurde den Eindruck nicht los, dass jetzt gehandelt werden musste – dass Kindersoldaten endlich von ihrem Leid befreit und Kony gefasst werden musste, damit seine Verbrechen gesühnt und Uganda endlich zur Ruhe kommen kann.
Social Sharing – 70 Millionen Klicks auf YouTube
Die in Uganda agierende NGO ‚Invisible Children‘ begann ihre Social Media-Kampagne am 05. März und stellte sicher, dass das Video, das auf YouTube und Vimeo zu sehen ist, sich in Windeseile in alle Ecken des Internets verbreitet. Über Twitter und Facebook machten namenhafte Stars auf die Kampagne aufmerksam. Mit bekannten Persönlichkeiten wie Rihanna, Bill Gates und George Clooney konnte ‚Invisible Children‘ eine vielfältige Schar von Sympathieträgern dazu bewegen, sich per Tweets oder Posts an der Verbreitung des Videos zu beteiligen. Innerhalb von fünf Tagen wurde das Video 70 Millionen Mal angeschaut – damit geht es als das Video mit der größten Verbreitung in die Geschichte ein.
Sachverhalte lächerlich vereinfacht – Geht Social Media so?
Die Kampagne hat nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten, die Frage aufgegriffen, was Social Media darf, um eine bestimmte Message zu transportieren, die von politischer oder gesellschaftlicher Relevanz ist. Ist eine Social Media-Kampagne dann ein Erfolg, wenn sie in aller Munde ist – selbst wenn sie Sachverhalte extrem vereinfacht darstellt? Nur beiläufig erwähnt ‚Invisible Children‘ etwa, dass Kony sich längst nicht mehr in Uganda aufhält. Auch gewinnt der Zuschauer fälschlicherweise den Eindruck, dass das Land nach wie vor im Bürgerkrieg versinkt. Die Macher begründeten diese und weitere Vereinfachungen mit dem Argument, dass sie dazu dienen, dem Zuschauer die Botschaft des Films noch einprägsamer rüberzubringen. Nur so konnte sich also KONY 2012 zu einer ultimativen Social Media-Kampagne entwickeln. Von den Spenden landen im übrigen nur knapp 30% in tatsächlicher Hilfe.
Social Media doch nur ein oberflächliches Medium für Produktkampagnen?
Dürfen Social Media-Kampagnen indes alles – also auch stark vereinfachen, um eine bestimmte Aussage an die Frau und den Mann zu bringen? Handelt es sich hier nicht einfach nur um Marketing-Maßnahmen, die wir aus Werbekampagnen großer Unternehmen kennen? Die massive Kritik an der Initiative lässt den Schluss zu, dass leicht verständliche und weitreichende Social Media-Kampagnen in diesem Fall differenziert zu betrachten sind. Womöglich ist die KONY 2012-Kampagne mit Hinblick auf die Wahl der Mittel nur eine überdimensionierte Version einer Strategie, wie sie beispielsweise schon für das iPhone gestartet wurde. Während es jedoch im Rahmen einer Werbekampagne für ein Produkt relativ unproblematisch ist, eine verkürzte Werbebotschaft zu kreieren („unser Produkt ist toll, innovativ, großartig!“), sieht dies mit Hinblick auf gesellschaftliche oder politische Fragen anders aus. KONY 2012 konnte sich nur so stark im Netz verbreiten, weil es ein sehr einfaches und deshalb auch falsches Bild von der Realität zeichnete und wichtige Details bei der Beschreibung des Konfliktes, an dem Joseph Kony beteiligt war, wegließ. Dadurch erreichte es zwar viele Menschen. Es erzeugte jedoch aufgrund dessen auch viel Kritik. Zudem wehrten sich viele Menschen in Uganda gegen die einseitige und aus ihrer Sicht seltsame Kampagne, bei der ihrer Ansicht nach nur am Rande um die Belange der Opfer Konys ging. Ein Beitrag, der bei Al-Jazeera ausgestrahlt wurde, zeigt dies eindrucksvoll. Es scheint also, als ob Mega-Kampagnen wie KONY 2012, bei denen es um soziale und politische Fragen geht, sich nicht gut mit Social Media vertragen.
Wir vertragen uns aber gut mit Euch! Bei Twitter oder gerne auch auf Facebook.
Digitale Grüße
XOXO Matthias